- 25. August 2015
Moderne Lösungspolymerisation am Fraunhofer PAZ ermöglicht verbesserte Reifen
Optimierung in Serie
Das EU-Reifenlabel hat für die Verbraucher die Wahl des richtigen Reifens vereinfacht. Für die Reifenhersteller bringt das Label allerdings noch höhere Anforderungen und entsprechende Entwicklungskosten mit sich. Das Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ in Schkopau, eine Gemeinschaftsanlage des Fraunhofer IAP in Potsdam-Golm und des Fraunhofer IWM in Halle, entwickelt Kautschuke für diese optimierten Reifen in moderner Lösungspolymerisation und überträgt sie mithilfe von Skalierungsprozessen in die Serienreife. Die Auftragsforschung bringt nicht nur Vorteile für die Kunden, sondern auch für die Umwelt.
Moderne Mobilität und Umweltschutz müssen sich nicht ausschließen. Im Gegenteil: Besonders im Bereich von Pkw-Reifen ergänzen sie sich gegenseitig. Die Einsparpotenziale optimierter Reifen unterstreicht auch der Abteilungsteiler Polymersynthese am PAZ, Dr. Ulrich Wendler: »Bekannte Umweltschützer wie Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe gehen hierzulande von einer Reduktion der verkehrsbedingten CO2-Emissionen von jährlich bis zu sieben Millionen Tonnen durch verbesserte Reifen aus.« In moderner Auftragsforschung nimmt sich das Fraunhofer PAZ deshalb diesem Zukunftsthema an. Hier werden für namhafte Unternehmen Kautschuke für Laufflächenmischungen in moderner Lösungspolymerisation hergestellt. Dabei gibt es zwei Spielarten: den koordinativen Mechanismus sowie die anionische Initiierung. Beide Formen haben sich in den vergangenen Jahren technologisch und kommerziell stark entwickelt. Heute werden moderne Hochleistungsreifen nahezu ausschließlich in diesen Verfahren hergestellt.
Ziel dabei ist die Verbesserung der Eigenschaften der Reifen innerhalb des magischen Dreiecks aus Nassgriff, Rollwiderstand und Abrieb. Den Forschern am Fraunhofer PAZ ist es gelungen, Nassgriff und Rollwiderstand zu optimieren, ohne den Abrieb negativ zu beeinflussen. Dies ist die Grundlage für ein Reifenlabeling der Effizienzklasse A und B, das die enormen Einsparungen bei Kraftstoffverbrauch und Emissionen unter Beibehaltung der Langlebigkeit belegt. Zusätzlich wurde durch eine Verbesserung der Bremseigenschaften des Reifens die Sicherheit für den Autofahrer erhöht.
Das Fraunhofer PAZ kann in seinen Anlagen Lösungspolymerisationsverfahren sowohl satzweise als auch kontinuierlich darstellen. Hochgenaue Coriolis-Mengenmessungen zusammen mit einem modernen Prozesskontrollsystem ermöglichen eine exakte, reproduzierbare Reaktionsführung in den 600 Liter fassenden Edelstahl-Reaktoren (bis 25 bar, bis 200 °Celsius, Material 1.4571). Die entstehenden Reaktionswärmen können über die Reaktorwand oder über eine Loop-Kühlung wie auch über eine hocheffiziente Verdampfungskühlung abgeführt werden. »Die Zielprodukte fallen dabei bis in den unteren Tonnenmaßstab an. So wird es möglich, schon frühzeitig die Relevanz der erzielten Materialverbesserungen im Praxistest auf der Lauffläche eines realen Reifens zu testen«, erklärt Wendler einen der Vorteile der Anlage.
Die Materialentwicklung ist dabei nur eine Fragestellung. Ein ebenso wichtiger Schritt bei der Herstellung eines optimierten Kautschuks ist dessen Überführung in die Produktion. Das PAZ hilft dabei, neue Rezepturen in den industrienahen Maßstab zu übertragen. Als Partner der Kautschukindustrie optimieren die Forscher in Schkopau das konkrete Verfahren auch unter Kostenaspekten. Durch diese Pilotierung von neuen Prozessen wird das spätere Prozessrisiko für die Industrie deutlich verringert.
Je nach Anfrage des Kunden wird die Anpassung vom Synthesemaßstab in den Pilot- beziehungsweise industrienahen Maßstab möglich gemacht. »Mit den Materialentwicklungen aus dem Labor können zwar analytische Grundaussagen getroffen, aber keine anwendungsrelevanten Versuche durchgeführt werden. Genau hierfür bieten wir Lösungen: In bis zu sieben verschiedenen Linien bestimmen wir am Fraunhofer PAZ zunächst den Prozess, prüfen die Bedingungen der Polymerisation und entwickeln dabei eine kundenspezifische Linie zur Skalierung des Laborprodukts in den industrienahen Maßstab«, erklärt Wendler. Am Ende einer Kampagne mit vielen Versuchen, die in der Regel innerhalb eines Monats abgeschlossen wird, übergibt das Fraunhofer PAZ nicht nur umfassende Forschungsmuster, sondern gibt auf Anfrage zusätzliche Empfehlungen hinsichtlich der Verfahrensoptimierung.
Über das Fraunhofer PAZ
Seit 2005 werden im Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ in Schkopau neue Polymerprodukte und innovative Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette entwickelt – vom Monomer über die Polymersynthese und Kunststoffverarbeitung im Pilotmaßstab bis hin zum geprüften Bauteil nach Maß. In dieser Kombination und Größenordnung ist das Fraunhofer PAZ einmalig in Europa. Im Auftrag von Kunden etwa aus der Kunststoff- oder Automobilindustrie werden auf einer Technikums- und Laborfläche von derzeit rund 1700 Quadratmetern unterschiedlichste Polymersynthese- und Verarbeitungsverfahren maßgeschneidert bis in den industrienahen Maßstab umgesetzt. Dazu gehören auch der Umgang mit Leichtbau- und biobasierten Materialien, die erdölbasierte Polymere ersetzen können.
Das Fraunhofer PAZ ist eine gemeinsame Initiative der Fraunhofer-Institute für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam-Golm und für Werkstoffmechanik IWM in Halle. Unter der Leitung von Prof. Michael Bartke (IAP) bündeln beide Einrichtungen ihre Kompetenzen in der Polymersynthese (IAP) und Polymerverarbeitung (IWM) in einzigartiger Weise. Diese Zusammenarbeit, die technischen Möglichkeiten im Pilotmaßstab sowie die hohe Flexibilität der Anlagen sind Alleinstellungsmerkmale am FuE-Markt.
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