- 08. Februar 2022
Schriftenreihe: „Trennungsfamilie“ Agenda für das Update des Familienrechts
„Trennungsfamilie“ lautet der Titel des Bandes 8 der ISUV–Schriftenreihe. Es handelt sich um eine Agenda des Verbandes zur notwendigen und lange angekündigten Reform des Familienrechts. Der Verband zeigt mit dieser 110seitigen Agenda Kritikpunkte am bestehenden Familienrecht, aber auch Maximen für eine Reform auf. Der strukturelle Aufbau besteht darin, dass die Agenda Meinung, Kritik, Forderungen unserer Mitglieder darstellt, also klassisches Agenda Setting. Jeweils in einem zweiten Teil greifen Experten des Familienrechts die Äußerungen der Betroffenen auf, bewerten, erläutern, weisen sie zurück und machen Reformvorschläge.
Die Autoren der Broschüre sind Rechtsanwalt Jörn Hauß, Fachbuchautor in juristischen Werken, Astrid Leonhardt, Sachgebietsleiterin beim Jugendamt a.D., Reportage „Schicksal Scheidungskind“, Dr. Martin Menne, Richter am Kammergericht Berlin, Mitherausgeber und Autor mehrerer unterhaltsrechtlicher Standardwerke, Heinrich Schürmann, Vorsitzender Richter am OLG a.D., Autor in zahlreichen Standardwerken und Schriften zum Familienrecht, Speziell zu den Schnittstellen zwischen Steuer-, Sozial- und Unterhaltsrecht, Maren Waruschewski, Fachanwältin für Familienrecht, Autorin und Mitautorin in zahlreichen juristischen Werken sowie ISUV-Pressesprecher Josef Linsler.
Die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich hebt hervor: „Ausgangspunkt für unsere Agenda war, dass die Diskussion um das Wechselmodell zu einer harten Konfrontation von Befürwortern und Gegnern geführt hat. Wir wollen mit unserer Agenda raus aus dieser Sackgasse. Wir haben deswegen kein ´Modell´ vorgegeben. Vielmehr stimmen aber alle Autorinnen und Autoren in den Maximen überein, die nach einer Trennung gelten sollten: Getrennt, aber gemeinsam erziehen, Beide betreuen, Beide bezahlen. Wird dies konsequent umgesetzt, entwickelt sich daraus mit entsprechender mediativer Unterstützung eine Trennungsfamilie. Die zentrale Frage für uns war und ist: Wie verlieren die Kinder keinen Elternteil nach der Trennung. Daran muss sich auch das Update des Familienrechts orientieren.“
Der Verband tritt grundsätzlich für gelebte gemeinsame Sorge für alle Kinder ein, unabhängig davon, ob die Eltern verheirate waren oder nicht. Es gilt die Maxime „Getrennt, aber gemeinsam betreuen“. Fakt ist aber, das veranschaulichen die „Fälle“ von Mitgliedern, ist Umgangsverweigerung recht häufig. Die stellvertretende ISUV-Vorsitzende, Rechtsanwältin Maren Waruschewski schreibt: „Diese Fälle kommen in der anwaltlichen Praxis meiner Erfahrung nach sehr oft vor. Und tatsächlich ist es so, dass wir Juristen hier nur sehr beschränkt weiterhelfen können.“ Sie schlägt vor mehr Personal in Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen und gemeinnützige Verbände in die Beratung miteinzubinden. „Gerade für Menschen, die offiziellen Stellen gegenüber misstrauisch sind, bietet ISUV ein glaubwürdiges Angebot nach dem Motto Geschiedene helfen Geschiedenen, indem man Hilfe zur Selbsthilfe leistet“, betont Waruschewski.
Die dargestellten Fälle von Mitgliedern veranschaulichen, die Kritik am Jugendamt ist vielfältig und reißt nicht ab. Die erfahrene Sachgebietsleiterin beim Jugendamt Astrid Leonhardt stellt u.a. fest: „Leider ist nicht von der Hand zu weisen, dass man Müttern mehr Beachtung als Vätern schenkt. Auch das ist althergebracht und ich kann noch kein Umdenken erkennen.“ Sie schlägt vor den Beratungsanspruch auch den „familienfernen Elternteilen“ zu gewähren. Auch sie spricht sich dafür aus, Coaching und Begleitung an gemeinnützige und „in der Sache erfahrene Institutionen wie z. B. den ISUV abzugeben.“
Die in der Agenda dargestellten Beispielfälle für Kindesunterhalt veranschaulichen Ungerechtigkeiten der gegenwärtig gültigen Regelungen. Heinrich Schürmann, ehemals Vorsitzender Richter am OLG stellt fest: „Zusammenfassend ist aber festzuhalten, dass eine zwischen den Eltern geteilte Betreuung unterhaltsrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben kann.“ Schürmann, einer der ganz wenigen Kenner der Interdependenz von Kindesunterhalt – Sozialrecht – Steuerrecht, legt die Schwächen des gültigen Unterhaltsrechts offen und zeigt viele Reformvorschläge auf. Zusammenfassend stellt er fest: „Reformziel muss daher eine Konzentration der Familienförderung auf einen eng umrissenen Katalog an Leistungen sein, die dann auch das private Unterhaltsrecht nicht unberührt lassen kann. Dabei dürfen Kinder aus Trennungsfamilien nicht mehr als Ausnahme von der Norm gelten. Vielmehr bedarf es umfassender Neuregelungen, um einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der allen Familienformen gleichermaßen gerecht wird.“
Ein Update des Familienrechts muss auch den Unterhalt für Erwachsene in den Focus nehmen. Die im geltenden Gesetz niedergelegten Regelungen stimmen indessen mit den heutigen gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen und den allgemein akzeptierten Wertauffassungen immer weniger überein“, stellt Martin Menne, Richter am Kammergericht in Berlin fest. Er plädiert für mehr „Eigenverantwortung der Eltern“, die schon in der Trennungsphase einsetzen muss, für umfassende Trennungsberatung und „Vereinfachung des Unterhaltsrechts“.
Mit einem Update des Familienrechts muss ein Update des Versorgungsausgleichs einhergehen. Von Mitgliedern wird der Versorgungsausgleich heftig kritisiert. Teilweise zurecht, wie Versorgungsausgleich Experte und Rechtsanwalt Jörn Hauß bestätigt. Unabdingbar ist mehr Information und Transparenz in Sachen Versorgungsausgleich. Für Trennungsfamilien ist es unabdingbar notwendig, dass beide Elternteile Rentenansprüche erwerben. Daher ist die Maxime „getrennt, aber gemeinsam erziehen“ alternativlos, weil so beide Elternteile die Möglichkeit der Berufstätigkeit haben. Es muss ins Bewusstsein gerufen werden, dass Halbtagsjob und Kindesunterhalt nicht vor Altersarmut schützen – und oft auch nicht vor Kinderarmut. Hauß plädiert für das Bewusstsein einer „Verantwortungsgemeinschaft, die weniger vom lebenslänglichen Halbteilungsgrundsatz und mehr vom verantwortungsvollen Miteinander bestimmt ist“.
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