Skip to main content
Regionalportal und Internetzeitung für Pressemeldungen!
Zwischen Sehnsucht und Enttäuschung über die Kirche…
Dennis Riehle
  • 24. Juni 2022

Zwischen Sehnsucht und Enttäuschung über die Kirche…

Von Dennis Riehle | Konstanz

Kommentar Christsein im Wandel

Ich war schon früh von Kirche und Glaube fasziniert. Bereits beim Krippenspiel hatte ich stets eine feste Rolle, arbeitete mich vom Schaf zum Jesus hoch. Nach meiner Konfirmation übernahm ich Aufgaben in der Jugendarbeit, gestaltete Gottesdienste mit und war auch musikalisch fast jeden Sonntag aktiv. Zweifelsohne war meine Entscheidung, später einmal selbst Pfarrer werden zu wollen, schon während der Oberstufe gereift. Wenn da nicht während meiner Pubertät eine schwerwiegende psychische Erkrankung herangewachsen wäre.

Mit 17 Jahren war meine Zwangserkrankung voll ausgebrochen, psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe wurden notwendig. Trotz der erheblichen Mehrbelastung stemmte ich mein Abitur mit gutem Ergebnis, wenngleich ich danach für einige Monate eine stationäre Unterstützung wahrnehmen musste. Nach meiner Rückkehr stand dann für mich eigentlich fest: Mit großer Leidenschaft und Hingabe wollte ich mein Theologie-Studium beginnen. Doch die Kirche fand das wohl keine passende Idee. Als ich mich über die Studienplätze informieren wollte und hierfür ein seelsorgerliches Gespräch mit einem klerikalen Amtsträger führte, spürte ich von Beginn an seine große Zurückhaltung und das Misstrauen mir gegenüber.

Die sehr direkte Aussage seinerseits schockierte mich dann aber schon: „Psychisch kranke Seelsorger braucht die Kirche nicht!“. Ja, solch eine Ansage hat gesessen – und in wenigen Sekunden einen ganzen Lebenstraum zerstört. Denn auch wenn es sich vielleicht nur um die Feststellung eines einzelnen Kirchenmitarbeiters handelte, vermochte sie möglicherweise doch eine strukturelle Überzeugung widerspiegeln und machte klar: Die Einrichtung, die in Nächstenliebe gerade den Kranken und Schwachen verbunden sein sollte, tat sich mit der Sensibilität und dem Feingespür in seelsorgerlich heiklen Situationen offenbar sehr schwer.

Zwar hätte ich Einlassungen als singuläre Meinung abtun und mich dennoch selbstbewusst dem Studium zuwenden können, doch in mir war mehr verletzt als lediglich eine stolze Eitelkeit. Immerhin hatte mich diese explizite und unmissverständliche Diskriminierung ins Herz getroffen. Kann und sollte ich Diener einer Kirche werden, die so offenbar und unverblümt meiner Persönlichkeit gegenüber Ablehnung und Herabwürdigung entgegenbrachte? Es brauchte mehrere Wochen, bis ich mich vom Schock erholte. Viele Gespräche brachten mich schlussendlich zur Konsequenz, die mir extrem schwerfiel – mir aber unausweichlich schien: Ich wendete mich einem neuen Studiengang zu und begann die Politikwissenschaften als eine Alternative, die ich weniger aus Überzeugung anging, sondern viel eher in der vermeintlichen Enttäuschung und Zurückweisung durch einen Mann der Kirche. Die menschlichen Abgründe dort hatten nicht nur meine Zustimmung zum Protestantismus, sondern auch zum Gottesglauben in Frage gestellt.

Denn in solchen Augenblicken fällt es schwer, zwischen dem Vater im Himmel und seinem weltlichen Bodenpersonal zu unterscheiden. Was mich hielt, war meine enge Bindung an meine Studierendengemeinde, in der ich stets willkommen gewesen bin und auch fortan meine Gaben einbringen durfte. Auch zu meiner Kirche vor Ort brach ich trotz der Erfahrungen den Kontakt nicht vollständig ab – bis zu dem Moment, als mir dort jegliche ehrenamtliche Aufgabe entzogen worden war. Nein, ins Gesicht sagte man mir nichts, sondern hatte mir kurzerhand eine hauptamtliche Kraft vorgesetzt, die mit sofortiger Wirkung meinen Platz einnahm. Hinter den Kulissen erfuhr ich, wonach man mir nach mehr als 800 Stunden freiwilligen Engagements für meine Gemeinde „Unzuverlässigkeit“ vorwarf, weil ich gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, diese mehrmals wöchentlichen Nachmittage für die Kirche tätig zu sein. Dass dieser Vorwand aber nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein musste, wurde mir durch einen vertraulichen Brief bewusst: Ein Gemeindeglied wandte sich anonym an mich und steckte mir zu: „Zusammenfassend waren einige Kirchengemeinderäte aufgrund Ihres Single-Lebens davon überzeugt, dass Sie homosexuell veranlagt sein müssen – deshalb wurden Sie von der Leitung aus der Übernahme weiterer Funktionen, vor allem in der Jugendarbeit, ausgeschlossen“.

Diese Darstellung passte gut in die Wahrnehmung meinerseits: Früher mir sehr verbundene Mitchristen wechselten neuerdings die Straßenseite, wenn sie mich kommen sahen. Hinter vorgehaltener Hand war mein Privatleben bis aufs Kleinste rekonstruiert worden. Sogar meine Gänge zum Psychotherapeuten wurden beobachtet. Und während ich vor einem riesigen Scherbenhaufen meiner kirchlichen Verbundenheit stand und das Geschehene überhaupt nicht begreifen konnte, wuchs die Verbitterung in mir beständig an. Kann ich solch einer Institution weiter angehören, die mir auf meinen mittlerweile auch körperlich stark reduzierten Zustand lediglich die Antwort gab: „Hätten Sie einmal mehr gebetet, wäre Ihnen all das nicht passiert!“ – oder war es an der Zeit für mich, einen Schlussstrich zu ziehen? Der Versuch, mich umgemeinden zu lassen, scheiterte an der merkwürdigerweise durch alle Pfarrhäuser der Umgebung gehenden Ablehnung meines Gesuchs zur Aufnahme. Und auf meine „Theodizée“-Frage wollte mir auch niemand Antwort geben.

Kirche würde sich nicht verändern und reformieren, wenn die Unzufriedenen von Bord gingen. Diesen weisen Spruch hörte ich aus meinem Freundeskreis sodann desöfteren. Allerdings: Wann ist die Grenze der Ertragbaren erreicht? Und wie stand es eigentlich um meinen Gottesglauben angesichts der Erkenntnis, dass wohl zumindest seine Kirche Menschen zu selektieren versuchte? Es dauerte Monate, bis ich eines Morgens mit der Gewissheit aufstand: Es geht nicht mehr! Ich möchte und kann ihr nicht länger angehören. Ich hatte gehadert und mit mir gerungen. Aber ich hatte nicht eben nur einen erheblichen Teil meiner geistlichen Überzeugung verloren, sondern vor allem den Halt in der Kirche. Trotz meiner Anstrengungen getreu des Mottos „Schwamm drüber!“ war es mir nicht gelungen, den entstandenen Graben zu kitten. Immer wieder machte ich mir selbst Vorwürfe: War vielleicht ich der Schuldige, der nun aus Missmut die Segel strich?

Im weiteren Verlauf wendete ich mich der humanistischen Szene zu. Meine ehemalige Kirche war mir mittlerweile egal, stattdessen stimmte ich in manch pauschale Verunglimpfung mit ein, die gerade von den evolutionären Humanisten gegenüber den Konfessionen verbreitet wurde – und ging zeitweise in meiner Wut über die Institution auf. Was sich allerdings im tiefen Innersten nicht verbergen ließ, das war meine grundständige Sehnsucht nach Gott, an dessen Existenz ich zwar immer öfter zweifelte, der mich aber nicht losließ. Im Nachhinein würde ich sagen: Gerade dieses kleine Flämmchen, das in meiner Seele loderte, macht seine fortdauernde Gegenwart offenbar. Es vergingen mehrere Jahre und ich merkte eine zunehmende Unzufriedenheit mit meiner Situation inmitten von Lästerern über Kirche und Glaube. Im Gegensatz zu ihnen war mir nämlich stets meine Verantwortung bewusst: Aus meiner persönlichen Erfahrung mit der Organisation und ihren Mitarbeitern wollte ich keinesfalls einem Anderen die Legitimation der Religion und Freiheit des Bekenntnisses zu Gott absprechen.

Es war ein Pfarrerwechsel und eine Einladung zum Trauergottesdienst für meine verstorbene Oma, der mich zum ersten Mal wieder in eine Kirche brachte. Und auch wenn sich aus dieser guten Begegnung am Ende doch keine dauerhafte Rückkehr entwickelte und man mir noch immer vorwarf, dass ich mit meiner liberalen Überzeugung von Gott und Schrift „Eulen nach Athen tragen würde“, habe ich mich versöhnt. Ich habe die Hand ausgestreckt, das war mir wichtig. Ich wünsche der Kirche nichts Schlechtes. Auch wenn für mich dort aktuell kein Platz scheint. Ich war, bin und bleibe Christ – evangelisch aus tiefer Verbundenheit und wegen meines Glaubens. Mittlerweile habe ich mich in Seelsorge und zum Prädikanten fortgebildet, meine Leidenschaft an Theologie und Philosophie ist zurückgekehrt und ich empfinde wieder eine unvoreingenommene Nähe zu Gott, mit dem ich in Dialog stehe und den ich nicht mehr für manches Fehlverhalten von Mitmenschen haftbar mache…

Das neue Buch von Dennis Riehle „Wir dürfen Gottes Segen sein! – Gedanken zu einem modernen Christenverständnis“ ist unter ISBN: 978-3-7543-2632-9 bei „Books on Demand“ erschienen und kann im Buchshop oder im Handel bezogen werden.


Ressort: Glaube und Gesellschaft

Comments powered by CComment

Weitere Nachrichten


Die Dürre ist überstanden

März 05, 2024
Die Auflösung der Dürre ist eine gute Nachricht
Grundwasser reagiert auf den vielen Regen Trockenheit, Dürre, Waldbrände: Das sind die Schlagworte für die Jahre 2018, 2019 und 2020 gewesen. Diese Extremsituation ist nun Geschichte. Das Jahr 2023…