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Offenes Schreiben an die FDP: Gängelung passt nicht zur Freiheit!
Werkzeug, Symbol der Arbeit ©Gerald Kaufmann
  • 28. Oktober 2021

Offenes Schreiben an die FDP: Gängelung passt nicht zur Freiheit!

Von Dennis Riehle | Konstanz

Leserbrief

liebe FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag,
liebe Freie Demokraten,

in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen über eine „Ampel“-Koalition wird das Thema eines neuen „Bürgergeldes“ von tragender sozialpolitischer Bedeutung sein. In den Medien heißt es derzeit, wonach sich insbesondere die FDP für das Festhalten an Sanktionierungen ausspricht – und damit einer radikalen Abwendung vom bisherigen „Hartz IV“-System eine Abfuhr erteilt.

Als Psychosozialer Berater, der jeden Tag auf Menschen trifft, die auf Grundsicherung angewiesen sind, möchte ich Ihnen folgende Anregungen zum Nachdenken mit auf den Weg in die weiteren Gespräche geben wollen. Und ich hoffe darauf, dass Sie lernen mögen, das Schicksal von Menschen in den Vordergrund zu rücken, statt auf Disziplinierung, Bevormundung und Gängelung zu setzen, was im Übrigen mit dem Verständnis von Freier Demokratie recht wenig gemein hat – aber das nur nebenbei.

Abgesehen davon, dass die gesamten „Hartz“-Reformen eine einzige Zumutung sind und seit nunmehr weit über 15 Jahren Armut in diesem Land zementieren, gründet die Berechnung der Regelsätze für das ALG II auf völlig weltfremden „Warenkörben“, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben und das Modell eines hilfebedürftigen Menschen zugrunde legen, welches die tatsächlichen Bedürfnisse von „Hartz IV“-Empfängern außer Acht lassen. Hierdurch können Leistungssteigerungen einerseits immer nur mit äußerst großer Verzögerung zur aktuellen ökonomischen Situation in Kraft treten.

So muss der mittellose Bedürftige stets in Vorkasse treten, weil er die tagesgenauen Preise bezahlen muss, welche in die für die Leistungshöhe relevanten statistischen Erhebungen erst viel später einfließen. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass das verfassungsrechtliche Gebot zur steten Aufrechterhaltung eines sozioökonomischen Existenzminimums nicht eingehalten werden kann. Obwohl die Erkenntnis über die massive Fehlentscheidung in der Schröder’schen Legislaturperiode selbst bei den Parteien, die die damalige Einführung zu verantworten haben, angekommen zu sein scheint, ist offenbar niemand bereit, die politische Misere rückgängig zu machen. Es hilft nicht, an einzelnen Stellschrauben zu drehen oder „Hartz IV“ irgendwie „weiterzuentwickeln“.

Es braucht eine Abschaffung und grundlegende Reformen unserer Sicherungssysteme. Damit Menschen zurück in Erwerbstätigkeit geführt werden können, bedürfen sie einer Absicherung, die ihnen Raum zur freien Persönlichkeitsentfaltung gibt und sie nicht ständig in die Sorge treibt, um ihr materielles Dasein fürchten zu müssen. Daher ist es vollends unerlässlich, jedem Bürger in Deutschland ein Grundeinkommen zu gewährleisten, von dem die Reichen durch gleichzeitige Anhebung von Spitzensteuersätzen nichts spüren, das aber jenen die Chance zur Rückkehr in die Arbeitswelt einräumt, die bisher durch „Hartz IV“ gegängelt und aufgrund von sinnfreien Eingliederungsmaßnahmen von beruflicher Teilhabe abgehalten werden.

Wer das seit jeher im Ungleichgewicht liegende „Fordern und Fördern“ weiterhin hochhält, unterstützt in Wahrheit eine Entmündigung des Einzelnen. Das kann nicht dem freiheitlichen Menschenbild entsprechen, wenn der Arbeitslose zum hundertsten Male ein Bewerbungstraining durchläuft oder zur Konzentrationsförderung Rechenaufgaben auf Grundschulniveau lösen muss. Dass diese Realität maßgeblich das Innovationspotenzial in unserem Land schrumpft, wird angesichts der Statistik deutlich, welche viele ALG II-Empfänger über Jahre und Jahrzehnte in manifestierter Armut sieht, weil ihnen einerseits eine passgenaue Berufsförderung verweigert wird – andererseits beschränkt das System aber auch jegliche monetäre Freiheit. Statt sich auf die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit konzentrieren zu können, sorgt sich der Arbeitslose ständig neu um sein Dasein.

Daher plädiere ich für eine Mindestsicherung, die es erlaubt, den Fokus weg von der dauernden Angst um das finanzielle Übermorgen hin zu einer stabilen Existenzgrundlage für jeden zu lenken, damit unbeschwerte Schaffenskraft und Selbstverwirklichung geschehen kann – die Menschen am ehesten wieder zurück in Lohn und Brot bringt. Wir sind schon allein anthropologisch darauf ausgerichtet, etwas aus unserem Leben machen zu wollen. Nehmen wir daher den Mut für ein bedingungsloses Grundeinkommen zusammen, das durch Bürokratieabbau und Zusammenlegung von Sozialleistungen zweifellos finanzierbar ist. Die Erfahrung hat gezeigt: Wer die Wirtschaft an die lange Leine lässt, der riskiert einen Missbrauch der menschlichen Arbeitskraft zugunsten des unternehmerischen Wachstums und eines Reichtums von Wenigen. Wir brauchen Ergebnisgerechtigkeit, weil wir es nicht schaffen werden, evolutionäre Unterschiede zwischen den Menschen derart zu minimieren, dass eine wahrhaftige Chancengleichheit entsteht. Entfesseln wir daher die Menschen, nicht die Wirtschaft!

Herzlichem Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


Ressort: Konstanz

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