
- 06. Mai 2025
Gericht: Familienfrieden ist wichtiger als der Pflichtteil
In jungen Familien setzen sich die Eltern im Ehegattentestament meist wechselseitig zu Alleinerben ein. Das ist sinnvoll, damit bei einem Schicksalsschlag dem überlebenden Partner genügend finanzielle Ressourcen bleiben, um die Familie allein durchzubringen. Die minderjährigen Kinder sind damit erst einmal enterbt. Allerdings haben sie einen Pflichtteilsanspruch gegen den allein erbenden Elternteil. Doch wer macht diesen geltend? Der überlebende Elternteil würde sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Muss deshalb das Familiengericht einen Ergänzungspfleger bestellen?
Nein, sagt das Oberlandesgericht Köln in einer neuen Grundsatzentscheidung (Aktenzeichen: 10 WF 16/24), über die das Internetportal „Die Erbschützer“ berichtet. Wenn keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass der überlebende Elternteil das Familienvermögen gefährdet oder verprasst und damit das Kindeswohl in Gestalt des Pflichtteils gefährdet, muss kein Ergänzungspfleger bestellt werden, urteilten die Kölner Richter. Im Rahmen einer Abwägung gehe dann der Familienfrieden vor.
Kooperationsbereitschaft der Kindesmutter wird belohnt
„In der praktischen Konsequenz heißt das, dass der Alleinerbe den Pflichtteil an die minderjährigen Kinder nicht auszahlen muss“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke vom Internetportal „Die Erbschützer“. Nach dem Gesetz hätten die Kinder ohnehin mit Vollendung des 18. Lebensjahrs weitere drei Jahre Zeit, sich den Pflichtteil noch auszahlen zu lassen. In dem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall hatte die Kindesmutter mit dem Gericht kooperiert und den Nachlass mitgeteilt. Außerdem gab es keine Anzeichen, dass sie mit dessen Verwaltung überfordert gewesen wäre oder danach strebte, ihre Kinder zu benachteiligen. Das Gericht betonte, dass eine rein abstrakte Interessenkollision der Mutter nicht ausreiche, den Pflichtteil über einen Ergänzungspfleger einzufordern.
Große Erleichterung gerade für junge Familien
„Das Urteil schafft gerade für junge Eltern große Erleichterung, die während des Vermögensaufbaus ein harter Schicksalsschlag ereilt. Denn die Auszahlung des Pflichtteils an die Kinder hätte für den alleinerziehenden Elternteil oftmals verheerende finanzielle Konsequenzen“, weiß Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke. Haben beispielsweise die Eltern zweier minderjähriger Kinder im Wesentlichen eine Million Euro Vermögen in Form eines Familienheims, müsste der überlebende Elternteil insgesamt 250.000 Euro an beide Kinder auszahlen. Deren Pflichtteil bemisst sich nämlich nach der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Hätten die Eltern kein Ehegattentestament errichtet, sähe die gesetzliche Erbfolge so aus, dass der überlebende Elternteil die Hälfte des Vermögens und die Kinder jeweils ein Viertel erben würden. Die Hälfte von einem Viertel macht pro Kind 125.000 Euro. Damit würden die Witwe oder der Witwer das Familienheim verkaufen müssen. Denn kaum jemand hat 250.000 Euro auf der hohen Kante liegen.
Kinder haben nichts vom Pflichtteil mit der Brechstange
In vielen anderen Fällen wie auch bei dem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Sachverhalt ist das Familienheim finanziert und bei weitem noch nicht abbezahlt, so dass bestenfalls einige Barreserven auf dem Konto liegen. „Müsste in all diesen Fällen das Haus verkauft werden, um den Pflichtteilsanspruch zu erfüllen, bekämen die Kinder letztlich nur Steine statt Brot“, gibt Dr. Sven Gelbke von den Erbschützern zu bedenken. Denn dann hätten sie zwar einige zehntausend Euro auf dem Konto, aber das Familienheim wäre verloren.
Teilentziehung der elterlichen Gewalt nicht gerechtfertigt
Letztlich ist die Frage, ob das Sorgerecht teilweise auf den Ergänzungspfleger übergehen soll oder nicht, eine Einzelfallentscheidung. Deshalb kann es betroffenen Eltern durchaus passieren, dass ihnen übervorsichtige Familiengerichte die Vertretungsmacht erst einmal entziehen und eine Pflegschaft anordnen. „Davon sollten sich die Eltern jedoch nicht verunsichern lassen und diese Entscheidung von der nächsten Gerichtsinstanz überprüfen lassen“, empfiehlt Rechtsanwalt Dr. Gelbke. Denn die hierin liegende Teilentziehung der elterlichen Gewalt ist nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln nicht ohne Weiteres gerechtfertigt und noch nicht einmal dann geboten, wenn der überlebende Ehegatte etwa die Pflichtteilsansprüche der Kinder weder erfüllt noch sicherstellt. Vielmehr bedarf es Anhaltspunkten für einen konkreten, erheblichen Interessengegensatz, da die Entziehung der Vermögenssorge nur erforderlich ist, wenn sie dem Wohl der Kinder dient, betonten die Kölner Richter.
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