- 07. Juni 2022
Petition zu verbesserten Versorgungsstrukturen abgewiesen
Politik lässt psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen allein
Die Selbsthilfeinitiative Zwänge, Phobien, Psychosen und Depression im Landkreis Konstanz beklagt einen zunehmenden Realitätsverlust im Stuttgarter Landesparlament, wenn es um die Frage der psychotherapeutischen-psychiatrischen Versorgung von seelisch erkrankten Menschen geht. Wie der Leiter des ehrenamtlichen Angebots, Dennis Riehle, in einer Stellungnahme erklärt, hat der Landtag von Baden-Württemberg gleich zwei seiner Petitionen zurückgewiesen, welche sich mit einer verbesserten Betreuung von Menschen mit psychischen Leiden und einer intensiveren Beratung der Angehörigen befasst haben. „Dass man von Seiten der Politik offenbar weiterhin davon ausgeht, dass die von Seiten der Landesregierung betriebenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungslandschaft ausreichend seien und darüber hinaus kein weiterer Bedarf besteht, zeigt die Ferne mancher Abgeordneten von der Wirklichkeit“, so Riehle. „Ich bin nun selbst seit 23 Jahren psychisch erkrankt und über 18 davon in der Selbsthilfearbeit aktiv. Ich habe jeden Tag Kontakt mit Betroffenen. Und ich muss sagen: So schlimm, wie es im Augenblick ist, war es bislang noch nie!“.
Riehle moniert vor allem die weiterhin extrem langen Wartezeiten auf einen Therapie-Platz: „Wenn es ein Erkrankter überhaupt noch auf irgendeine Warteliste schafft, kann er oftmals mit acht bis neun Monaten rechnen, ehe er tatsächlich seine Psychotherapie beginnen kann. Da haben sich seelische Erkrankungen oftmals schon chronifiziert und sind stetig geworden, eine Linderung der Symptome wird umso schwieriger. Die scheibchenweise Reaktion der grün-schwarzen Koalition im Land auf die dramatisch angestiegenen Betroffenenzahlen durch die Folgen der Corona-Pandemie ist völlig unzureichend. Gerade für erkrankte Kinder und Jugendliche ist der Zustand unhaltbar und eine Zumutung. Ein Skandal überdies, dass die Regierung mit ihrer Mehrheit im Parlament Eingaben von Bürgern abschmettert, die den Spiegel vorhalten. Nein, es ist keinesfalls genug getan – und es ist auch auf Landesebene viel mehr möglich. Wer sich auf dem Status Quo ausruht, versündigt sich an der psychischen Gesundheit der Bevölkerung und gibt eine Bankrotterklärung ab. Denn selbst bei Gesetzesänderungen, die auf Bundesebene nötig wären, könnte Baden-Württemberg über den Bundesrat die Initiative ergreifen. Stattdessen werden Petitionen mit konkreten Vorschlägen zur Veränderung ohne Ergebnis beschieden“, ärgert sich Riehle.
Und der 37-Jährige führt weiter aus: „Es kann schlichtweg nicht sein, dass niederschwellige Angebote wie die Selbsthilfe als ehrenamtliche Leistung das ausbügeln müssen, was der Staat versäumt hat. Er hat einen klaren Auftrag zur Sicherstellung der Fürsorge und Behandlung von Krankheiten. Diese können – nicht nur in Baden-Württemberg – aber weitflächig nicht mehr garantiert werden, weil die Bedarfsplanung für Psychotherapeuten einerseits, für psychiatrisch-psychomedizinische Fachärzte andererseits, nur stückchenweise reformiert werden und in wesentlichen Punkten seit Jahrzehnten nahezu unverändert geblieben sind. Dass wir heute andere Versorgungslandschaften als noch in den anfänglichen 2000er-Jahren benötigen, sollte uns im Bewusstsein der sozialen Konsequenzen aus den Covid-19-Maßnahmen doch sehr trefflich klar sein. Mittlerweile erreichen mich als Selbsthilfevertreter bis zu 20 Mails von Betroffenen pro Tag, die verzweifelt sind und Orientierung suchen, weil sämtliche Praxen, Ämter, Beratungsstellen und Unterstützungsangebote vor Ort überlastet sind. Wir können zwar eine vorübergehende Begleitung und eine durchtragende Seelsorge leisten. Allerdings ist es uns nicht möglich, wegbrechende Strukturen aufzufangen, die von Professionellen geführt werden müssen. Ich bemühe mich täglich in vielen Stunden ehrenamtlichem Engagement, dem Ansturm an Hilfsgesuchen gerecht zu werden. Dass ich von der Politik in all diesem Tun durch eine beständige Arbeitsverweigerung der Koalition in Stuttgart alleingelassen werde, trägt nicht unbedingt zu mehr Motivation bei. Ich hätte mir gewünscht, dass die von mir aufgegriffenen Forderungen zumindest im gemeinsamen Gespräch erörtert und ein Handlungsbedarf erkannt worden wäre. Leider gab es neben der Ablehnung der Petition keine Bereitschaft dazu“.
Die Selbsthilfehilfeinitiative berät überregional und kostenlos in psychosozialen Fragen unter Mail:
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