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Wie Anschläge die Psyche belasten
Christoph_Middendorf
  • 22. Dezember 2016

Wie Anschläge die Psyche belasten

Von Stephanie Schmitz | Redaktionsbüro Oberbergkliniken

Das Trauma nach dem Terror

Paris, Brüssel, Nizza oder Berlin: Mehrfach waren die Deutschen in den vergangenen Monaten mit Bildern konfrontiert, die sie in Wut, Angst oder Ohnmacht zurückließen. Indem Unschuldige willkürlich zu Opfern des Terrors wurden, rückte die Gewalt immer näher an den Alltag der Menschen heran. Wie belastend aber müssen Vorfälle wie der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt für diejenigen sein, die sie vor Ort miterleben müssen?

„Menschen verfügen über erstaunliche Selbstheilungskräfte, die ihnen helfen, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen“, erklärt Christoph Middendorf, medizinischer Geschäftsführer der Oberbergkliniken. „Bei zu intensiven Erlebnissen, die mit massiver Ohnmacht und existenzieller Bedrohung einhergehen, kann ein Trauma jedoch längerfristige psychische Folgen haben.“ Ein Terroranschlag ist so ein Erlebnis. „Der Verlust von Angehörigen oder Freunden, die Gefährdung der eigenen Existenz sowie die Bilder und Geräusche am Ort des Geschehens können die menschliche Seele so tief erschüttern, dass sie sich nur schwer erholt.“

Gewaltopfer verarbeiten Traumata langsamer

Wie sehr das Erlebte der Psyche schadet, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie alt sind die Betroffenen? Wie stabil sind ihre sozialen Beziehungen? Sind sie durch ähnliche Ereignisse vorbelastet? All das beeinflusst den Umgang des Gehirns mit bedrohlichen Situationen.

„Vor allem ein stabiles soziales Umfeld trägt dazu bei, dass Betroffene traumatische Erlebnisse besser verarbeiten“, so Middendorf. „Oft hilft schon das Gefühl, nicht allein zu sein und mit vertrauten Personen sprechen zu können.“ Allerdings bewältigen Gewaltopfer ihr Trauma langsamer als etwa Opfer von Verkehrsunfällen: „Menschen, die vorsätzliche Gewalt erlebt haben, verspüren oft ein tiefes Misstrauen gegenüber anderen. Dieser Zustand kann sehr lange anhalten“, erläutert der Experte.

Eine traumatische Situation belastet das Selbst- und Weltverständnis so sehr, dass sie Hilflosigkeit, Angst, Trauer oder Schuld hervorruft. Diese Emotionen können so stark werden, dass sie Betroffene massiv in ihrem Alltag einschränken. „Wer eine Extremsituation durchleben musste, sollte sich Zeit geben, um die Erinnerungen zu verarbeiten“, rät Middendorf. „In dieser Phase sollte man auf die eigenen Bedürfnisse achten, über seine Gefühle sprechen und sich viel Ruhe verordnen.“

Akute Beschwerden nach einem traumatischen Erlebnis

„Wenige Minuten nach dem Ereignis tritt bei vielen Betroffenen eine sogenannte akute Belastungsreaktion auf. Diese ist individuell und häufig durch unterschiedliche und rasch wechselnde Beschwerden gekennzeichnet. Vielfach treten körperliche Symptome wie Herzrasen, Übelkeit, Kopfdruck und Schwitzen, Unruhe, Gereiztheit und emotionale Reaktionen der Trauer und Wut auf“, so Middendorf.

Dazu können akute Belastungsstörungen kommen, erklärt der medizinische Geschäftsführer der Oberberggruppe: „Betroffene distanzieren sich innerlich vom traumatischen Ereignis, sie sind scheinbar abwesend, desorientiert oder können nicht mehr sprechen. Akut treten auch vollständige Erinnerungslücken auf. Die sogenannte Dissoziation verschwindet aber in der Regel nach Stunden oder Tagen wieder, spätestens aber 4 Wochen nach dem Ereignis.“

Profis als Ersthelfer

Eine professionelle Erstversorgung der Betroffenen direkt im Anschluss an ein traumatisches Erlebnis ist sinnvoll. Im Rahmen der Krisenintervention sollten Ärzte und Therapeuten behutsam auf die individuellen Verarbeitungsbedürfnisse der Traumatisierten eingehen. Bei manchen Betroffenen ist es ratsam, dass sich eine psychotherapeutische Beratung und Behandlung anschließt. Dadurch steigt die Chance, dass akute Belastungsreaktionen schneller wieder abklingen.

Gelingt es dem Betroffenen nicht, die erlittene seelische Verletzung auf Dauer zu verarbeiten, kann es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommen – häufig mit einer Verzögerung von bis zu einem halben Jahr. Rund 25 Prozent der Personen, die eine existenziell bedrohliche Situation erlebt haben, leiden an dieser psychischen Erkrankung. Die Symptome sind vielschichtig: Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Emotionslosigkeit, Überreiztheit und Abschottung können auf diese Belastungsstörung hindeuten.

Professionelle Therapeuten helfen

Besteht der Verdacht auf eine PTBS, können professionelle Traumatherapien helfen. Ihr Ziel ist es, Stabilisierungstechniken zu vermitteln, Ängste zu mindern und eine heilsame Selbstreflexion zu ermöglichen. „Menschen, die an einer PTBS leiden, können sich im Rahmen einer solchen Therapie ihren traumatischen Erfahrungen aktiv stellen und so zurück in den Alltag finden“, so Middendorf.

Nicht erwarten könne man von einer Therapie jedoch, dass Erinnerungen völlig verschwinden. „Es geht nicht um ein Vergessen, sondern darum, dass Betroffene lernen, mit dem Erlebten umzugehen, sodass die mit den Erinnerungen verbundenen Schmerzen und Emotionen verblassen“, erklärt der Experte. „Die Aussichten, psychische Belastungen zu minimieren und wieder ein beschwerdefreies Leben führen zu können, steigen durch eine Traumatherapie erheblich.“


Ressort: Lifestyle & Wohlbefinden

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