- 13. September 2022
Grenzüberschreitende Verpflichtung zur Nachhaltigkeit
Kommentar zur Entscheidung der Schweiz für das Atommüll-Endlager „Nördlich Lägern“ am Hochrhein
Es ist immer das gleiche Spiel: Ob es Windräder oder Atommüll-Endlager sind, grundsätzlich haben die meisten Menschen nichts gegen eine mehr oder weniger nachhaltige Energiegewinnung - solange sie und ihre Abfälle nicht vor der eigenen Haustüre geparkt werden. Es mag viele individuelle Gründe geben, weshalb man sich dagegen wehrt. Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der Frage, wie wir gegenüber den nächsten Generationen Verantwortung übernehmen können, darf es nicht auf die Befindlichkeiten des Einzelnen ankommen. Argumente der Landschaft, des Tourismus oder des Lärms müssen hintenanstehen.
Denn solche subjektiv abstufbaren Eigenschaften einer Region sind bei den Herausforderungen der Gegenwart als nachrangig zu betrachten. Würden wir ihnen zu viel Bedeutung beimessen, könnte sich nahezu jedes Fleckchen Erde herausreden. Es zählen jetzt die harten Fakten: Welcher Standort ist aus objektivierbaren Erwägungen am besten geeignet, atomaren Müll dauerhaft und sicher lagern zu können? Wesentliches Merkmal ist hierbei die passende Geologie, die in der Nordschweiz an mehreren Stellen zu finden ist. Daneben muss gewährleistet werden können, wonach die unterirdische Einlagerung für die Ressourcen des Menschen keinerlei Gefahr darstellt. Und nicht zuletzt müssen die technischen und physikalischen Gegebenheiten vorhanden sein, wie ausreichend Platz, eine möglichst große Tiefe und das Vorhalten einer dichten Verkleidung der atomaren Müllcontainer, welche eine Verstrahlung von Wasser und Erde weitestgehend unmöglich macht.
Alle drei Fragen konnten von Seiten der Schweiz bislang nicht hinreichend beantwortet werden. Dies ist das eigentliche Problem: Das nun auserkorene Gebiet war frühzeitig ausgeschlossen worden und ist jetzt Areal der ersten Wahl. Wie lässt sich dieser Widersprich auflösen? Welche Maßnahmen wird die Eidgenossenschaft ergreifen, um Kontaminierung von Trinkbrunnen, Flüssen und Torfschichten zu verhindern? Und wird Bern sicherstellen, dass die deutschen Landkreise im Umfeld des geplanten Standorts weiterhin an Entscheidungen und Informationsfluss beteiligt werden? Das Umschwenken der "Nagra" muss stutzig machen. Es ist Vertrauen verlorengegangen, weil man offenbar im Vorfeld des Beschlusses nicht genügend mit den Anrainern kommunizierte.
Dass auch wir als Nachbarn im Zweifel ein naheliegendes Endlager schon allein deshalb akzeptieren müssen, weil es für ein selbiges belegbare, fürsprechende und evidente Fachexpertise gibt, ist selbstverständlich. Solange dieser Landstrich unter unvoreingenommener Abwägung als die ideale und am ehesten zu verwirklichende Lösung gilt, scheint sie unter dem Gesichtspunkt umweltschützender Solidarität, welche eben nicht an Staatsgrenzen endet, auch von deutscher Seite moralisch und ethisch zustimmungspflichtig. Eine Einbeziehung baden-württembergischer Sachverständiger sollte dabei aber obligat sein. Und nicht zuletzt eine Zusicherung, die Interessen der Bürger hier wie dort insoweit zu schützen, dass eine gemeinsame Anstrengung zum endgültigen Abschluss der Atomenergie - von der Menschen in Deutschland und der Schweiz profitiert haben - ermutigt wird. Es bedarf noch einiger brückenbildender Maßnahmen, die den Schlingerkurs der helvetischen Endlager-Suchkommission entschuldigt.
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