- 27. Oktober 2022
Am Belchen werden Probleme und Lösungsansätze im Umgang mit dem Wolf aufgezeigt
Südschwarzwald – Nachrichten von Wolfsangriffen haben erneut für Verunsicherung seitens heimischer Landwirtschaftsbetriebe gesorgt. Naturschutz, Tourismus und Kommunen sind auf eine Fortführung der Weidetierhaltung angewiesen. Im Münstertal beschreitet man deshalb in Sachen Herdenschutz einen gemeinsamen Weg, der vor allem durch regen Austausch geprägt ist. Hierzu wurde vor Ort mit der Europaabgeordneten Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne) diskutiert.
Wolfsrisse in Bernau und Titisee haben jüngst die Debatte um den Schutz von Weidetieren neu entfacht. Die Positionen innerhalb der Debatte sind vielfältig. Umso schwieriger gestaltet sich oft eine fruchtbare Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Unbestritten ist, dass der Erhalt der Weidewirtschaft im Schwarzwald auch für Belange von Naturschutz, Forstwirtschaft, Tourismus und Kommunen von hoher Bedeutung ist. Die vom Naturpark Südschwarzwald ins Leben gerufene Arbeitsgruppe Landwirtschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Verflechtung verschiedener Belange stärker in Politik und Gesellschaft zu kommunizieren und lud die Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg deshalb zu einem Vor-Ort-Termin ein.
Um möglichst viele Positionen zu Wort kommen zu lassen, fanden sich am Freitag, den 21. Oktober, zahlreiche Fachleute bei Landwirt Stephan Wiesler in Münstertal ein. Gemeinsam stellten sie ihre Überlegungen und Lösungsansätze vor. Einig waren sich alle darin, dass die vielfältigen Faktoren, die mit der Beweidung zusammenhängen, verstärkt gesellschaftlich kommuniziert werden sollten. „Landschaftsoffenhaltung ist für den Naturpark Südschwarzwald eine zentrale Aufgabe, die wir sehr ernst nehmen. Weidewirtschaft ist alternativlos, will man artenreiche Weiden offenhalten und gesundes Fleisch erzeugen. Wir müssen aber auch den Wolf in dieses System integrieren, das erfordern die Gesetzeslage und schlicht seine aktuelle Präsenz“, machte Naturpark-Geschäftsführer Roland Schöttle deutlich. „Es wäre schön, wenn die Wichtigkeit der Weidetierhaltung mehr thematisiert werden würde“, so das Anliegen des Landwirtes Stephan Wiesler, der im Rahmen der Exkursion auf seinen Hof einlud. Sonja Amann, Sprecherin der Naturpark-Arbeitsgruppe Landwirtschaft, unterstrich dies: „Besonderheiten wie Borstgrasrasen und weitere wichtige FFH-Flächen prägen maßgeblich die ökologische Vielfalt im Südschwarzwald und könnten ohne Weidetierhaltung nicht existieren.“ Umso wichtiger sei es, den Weidetierhalterinnen und -haltern Unterstützung zukommen zu lassen. „Die Höhenlandwirtschaft hat ohnehin schon mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen. Die Rückkehr des Wolfes bringt zusätzliche Erschwernisse mit sich.“
Münstertal kann jedoch etwas vorweisen, was vielerorts noch undenkbar ist. Denn hier stehen Landwirtschaft, Tourismus, Kommunalpolitik, Bürgerschaft, Jägerschaft und die Forstliche Versuchsanstalt in Freiburg im Arbeitskreis „Weidewirtschaft & Wolf“ in regem Austausch miteinander, um Lösungen dafür zu finden, wie Weidetierhaltung mit dem Wolf gestaltet werden kann. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist das sogenannte „Münstertäler Modell“, das inzwischen auch thematischen Eingang in den Landtag geschafft hat. Das spezielle Konzept für wolfssichere Weidezäune soll es Wildtieren wie Rehen weiterhin ermöglichen, auch die Weideflächen betreten zu können. „Uns ist das konstruktive Miteinander von Landwirtschaft und Jägern sehr wichtig, deshalb haben wir uns von Anfang an in die Diskussion um guten Herdenschutz für die Landwirtschaft mit eingebracht“, so der Forstwissenschaftler Markus Herbener, Mitglied im Münstertäler Arbeitskreis.
Jedoch schlage die Installation des Zauns kräftig zu Buche, wie Wiesler hervorhob und von bisher 30 000 Euro Investition für 1 400 Meter Zaun berichtete. Wie Thomas Coch, Geschäftsführer der Ferienregion Münstertal Staufen, erläuterte, hätten auch Feriengäste ihre Schwierigkeiten mit der landschaftsprägenden Optik der Zäune sowie mit den möglichen Unterbrechungen von Wanderwegen. Erheblicher seien allerdings die Einschränkungen, die sich durch das schwarzwaldtypische bergige Gelände an sich ergeben. Hierzu besuchte die Exkursionsgruppe die oberen Belchenhöfe in Neuenweg, wo die steil abfallenden Weideflächen einen Einsatz von Zäunen unmöglich machen. Allerdings ist hier die Beweidung unerlässlich, um die ebenfalls nach europäischem Recht geschützten artenreichen Borstgrasrasen zu erhalten, wie Oliver Bechberger von der Unteren Naturschutzbehörde Lörrach erläuterte. Valentin Sonner vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband forderte in Bezug auf die besonderen Erschwernisse im Südschwarzwald schnelle Fortschritte in der politischen Debatte.
Deparnay-Grunenberg versicherte, dass die Gespräche auf EU-Ebene weitergehen werden, aber die Diskussion zunächst noch langsam verläuft. Eine passende Lösung für alle zu finden, werde zunehmend aufwändiger. Wünschen nach Sonderregelungen wie im Fall der komplexen Höhenlandwirtschaft im Südschwarzwald nachzukommen, könne andere Länder, die bisher funktionierende Konzepte vorzuweisen haben, dazu animieren, ebenfalls neue Bedürfnisse an die Politik heranzutragen. Die positiven Eindrücke ihres Besuchs im Naturpark Südschwarzwald werde sie jedoch gerne in parlamentarische Gespräche mitnehmen.
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