- 12. Juli 2021
Krisenerprobter Autor beschreibt das Geheimnis seiner seelischen Widerstandskraft…
„Warum verzweifelst du bei alledem denn nicht?“ – fragt der Gesunde den Kranken:
Immer wieder begegnen uns in unserem Bekanntenkreis oder in der Öffentlichkeit Menschen, die von einer Wucht an Verhängnissen getroffen werden – und dennoch nicht daran zugrunde gehen. Sie besitzen offenbar eine ausgeprägte Salutogenese (vgl. Faltermaier, T. (2020). Salutogenese. , 11.07.2021), können ihre psychische Gesundheit also mit eigenen Mitteln aufrechterhalten, obwohl äußere Umstände dagegen sprechen. Welches Geheimnis steckt hinter dieser Fähigkeit? Und was können andere Betroffene von jenen abschauen, die trotz persönlichen Martyriums standhalten?
Schildkrötenpanzer statt Schneckenhaus
Konstanz. Seine Krankengeschichte umfasst unzählige Seiten, die Liste der Diagnosen wuchs über die Jahre immer weiter an. Doch trotz eingetretener Behinderung, Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit war für den Konstanzer Autoren Dennis Riehle das Wasserglas stets halb voll. „Den kann so schnell nichts umhauen“, attestierte ihm ein langjähriger Wegbegleiter. Und einer seiner behandelnden Ärzte stellte fest: „So ein standhaftes Wesen ist mir bislang noch nicht untergekommen“. Zweifelsohne gibt der 36-Jährige unumwunden zu, wonach ihn seine psychische Widerstandskraft ab und zu selbst fasziniert. „Mit solch neumodischen Begriffen wie dem der ‚Resilienz‘ (vgl. Uhrig, S. (2020). Resilienz: gegen Stress gewappnet, 11.07.2021) kann ich aber nicht viel anfangen“, meint er – und ergänzt: „Neben einer sicherlich genetisch bedingten Leidensfähigkeit gibt mir meine erworbene und multifaktoriell begründete Gelassenheit die notwendige Stärke, in Krisen nicht einzuknicken“ (vgl. Anthrolexus (o.J.). Gelassenheit dem Schicksal gegenüber. http://www.anthrolexus.de/Topos/5489.html, 12.07.2021). Zwar sei das keine Selbstverständlichkeit. Dennoch ist Riehle kein Fatalist, der dem Schicksal frönen und sich allein dessen Natürlichkeit hingeben würde (vgl. Wikipedia (Autor unbekannt) (2019) Fatalismus, 12.07.2021). Viel eher sieht er sich als jemanden, „der zwar vom Leben gezeichnet, aber auch wunderschön bemalt wurde“.
Dass der am Bodensee geborene und wohnhafte Coach und Berater offenbar eine gewisse Immunität gegen körperliche und seelische Zumutungen entwickelt hat, soll nun auch anderen Menschen zugutekommen, die in ähnlichen Situationen weniger Abwehrkraft besitzen. In einem neuen Taschenbuch hat Riehle nämlich zusammengetragen, welche Erfahrungen, Eigenschaften und Erkenntnisse ihm geholfen haben, einen „dicken Panzer“ aufzubauen. In Anlehnung an den Ausspruch eines Freundes betitelte der früher als PR-Fachkraft tätige Litzelstetter sein aktuelles Werk mit einer Neuschöpfung: „Mehr Stoik geht kaum!“ ist eine Lektüre zum „Nicht-Verzweifeln“, wie die untergeordnete Überschrift des Büchleins verrät. Bewusst hat Riehle aber auch eine provokante Beschreibung seiner teils biografisch anmutenden Veröffentlichung gewählt: „Zwischen Psychose, Parkinson und Parese“ lässt rasch erahnen, dass der junge Mann bis heute auf keine leichte Lebensgeschichte zurückblickt. Und dennoch ermutigen seine Zeilen zu Zufriedenheit, weil laut Riehle manche Realitäten ohnehin unverrückbar seien.
Dem Leiden mit Gelassenheit begegnen…
Selbstredend gibt Riehle zu, dass es durchaus eines gewissen Grundoptimismus bedürfe, um an den Prüfungen des Daseins nicht zu zerbrechen. Es gehöre zur Wahrheit dazu, dass das Ringen und Hadern mit dem „Warum“ vollkommen menschlich ist und es keinerlei Grund gibt, angesichts individueller Heimsuchung und dem Ausgesetztsein in Erkrankung, Armut oder Gewalt etwaige Tränen zu verdrängen: „Unsere Existenz ist von ständigen Verlusten geprägt, weshalb es notwendig erscheint, dass wir die Folgen unseres gegeißelten Seins nicht nur verarbeiten, sondern sie in einen Trauerprozess einbetten“, befindet der Autor, für den es ein inneres Anliegen darstellt, durch den offensiven Umgang mit seiner Lebensgeschichte ein Zeichen von Hoffnung und Zuversicht zu setzen: „Nach meiner Rückkehr zum christlichen Glauben hat sich auch in Bezug auf meinen Leidensweg eine spürbare Erleichterung breitgemacht, weil wir zwar einerseits um unsere Endlichkeit wissen – andererseits liegen Anfang, Ende und auch das Dazwischen nicht in unserer Macht“, sagt Riehle.
Nach seiner Sicht sei es doch tröstlich, „dass wir im Zweifel auf eine ‚unsichtbare Hand‘ bauen können, die trotz der uns gottgegebenen Eigenverantwortlichkeit eingreift und zumindest Schmerzen lindert“, meint der Autor, dessen Rationalität sich auch in der Feststellung wiederspiegelt: „Was bleibt uns schlussendlich übrig, wenn wir mit Tatsachen konfrontiert werden, an denen wir nichts ändern können? Da hilft es lediglich, für den Ernstfall gewappnet zu sein und sich ein ‚dickes Fell‘ zuzulegen. Woraus das besteht und woher man es am Ende bekommen kann, ist eine überaus persönliche Sache, die jeder in der Selbstreflexion herausfinden muss. Meine Publikation soll ein mentaler Anstoß sein, das Unveränderliche als solches zu respektieren – und gleichzeitig nicht nachzulassen, die ständig neu gesetzten Grenzen des Lebens auszutesten und so viel Genuss wie nur möglich aus ihnen herauszuholen“, fasst der Texteschreiber zusammen, dessen siebtes Buch es ist und der schon bislang Rat gebende Werke schrieb, die vielen Betroffenen Halt gaben.
Hat der Stoizismus wirklich ausgedient?
Und abschließend resümiert Riehle: „Nachdem die philosophische Lehre des Zenon von Kition nach meiner festen Überzeugung trotz vieler Kritik bis heute nicht überholt ist, bleibt der Stoizismus für mich eine nicht nur zutreffende, sondern gleichsam mich ehrende Zuschreibung. Denn ich bin gleichsam Anhänger des ihm zugrundeliegenden Weltbildes, dem Pantheismus (vgl. Cantzen, R. (2020) Alles göttlich? Pantheismus reloaded, 11.07.2021). Die Vorstellung, dass der Mensch auf die Erde gesetzt wurde und ihm damit ein fester Platz zuteilgeworden ist, klingt für mich schlüssig. Deshalb habe ich auch früh erkannt, dass der ständige Kampf gegen das gegen das ‚Warum?‘ wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte und lediglich unnötig Kraft und Energie raubt, die wir doch viel eher konstruktiv einsetzen und zum Genuss des Lebens verwenden sollten. Gleichsam bemerke ich aber auch, dass Akzeptanz nicht mit Resignation gleichzusetzen ist. Es ist mag zwar widersprüchlich klingen, wenn ich feststelle, dass es sehr entlastend sein kann, wenn wir unser Kreuz (er-)tragen. Letztlich bedeutet diese Erkenntnis aber auch, dass die Qual nicht das Ende ist – zumal dann nicht, wenn wir der biblischen Verheißung glauben wollen und die Auferstehung als Symbol dafür verstehen, dass wir wieder aufgerichtet werden, sobald wir am Boden liegen. Mein grundlegendes Gottvertrauen sagt mir, dass uns die von ihm gegebene Freiheit nicht nur zur Eigenverantwortung verpflichtet, sondern zu einem solidarischen Miteinander animiert. Denn es sind die winzigen Zeichen der Mitmenschlichkeit, die wir oftmals selbstverständlich abtun und im ‚Hier und Jetzt‘ übersehen. Sobald wir sie bewusst wahrnehmen und mehr Achtsamkeit in unseren Alltag einfließen lassen, mindert sich auch manch subjektive Aussichtslosigkeit und unkonstruktive Desillusionierung des Seins“, so Riehle abschließend.
Gelassenheit, Zufriedenheit, innerer Frieden – was gerade in den schnelllebigen Zeiten von heute wie eine esoterische Utopie klingen mag, ist in Wirklichkeit eine Mischung aus einem tiefgründig angelegten, psychologischen Lernprozess einerseits, aber auch eine Veranlagung des Menschen andererseits, die ihm dabei helfen soll, mit all der Dramatik der Weltgeschichte umzugehen – sei es nun im Kleinen oder im Großen. Wie man solch eine Haltung für sich entdecken kann, kommt auf die Zugangsweise an, mit der man sich dem Konzept von Selbstbeherrschung nähert. Im vorliegenden Artikel beschreibt der Autor, der seit seiner Kindheit von Krankheit und sozialer Härte heimgesucht ist, wie er den Stoizismus (vgl. Rüther, M. (o.J.).. „Er ist wieder da!“ Die Renaissance des Stoizismus", 12.07.2021) als seine persönliche Lebenseinstellung entdeckte und es ihm damit gelang, aus einer Verbitterung über die Ungerechtigkeit zu einem genügsamen und wertschätzenden Umgang mit sich selbst zu kommen. Seine Erfahrungen und Überzeugungen hat er aktuell in einem Buch niedergeschrieben, auf das der Autor im nachfolgenden Text genauer eingeht und bereits einen Einblick ins Werk wagt.
Über den Autor: Dennis Riehle, geb. 31.05.1985 in Konstanz am Bodensee, erkrankte bereits nach seiner schwierigen Geburt mehrfach und kam auch danach kaum zur Ruhe. Sein bisheriges Leben ist von einer Vielzahl an Schicksalsschlägen geprägt. Besonders gesundheitlich trifft es ihn immer wieder – internistisch, psychiatrisch und neurologisch befindet er sich in Dauerbehandlung und konnte aufgrund der Multimorbidität (vgl. ) nach dem Abitur auch sein Studium der Theologie nicht antreten. Stattdessen bildete er sich in Psychologischer Beratung, Seelsorge, Fremdsprachenkorrespondenz, Sozialrecht und als Journalist fort und engagiert sich seit rund 20 Jahren ehrenamtlich, unter anderem in der Selbsthilfearbeit und der Nachbarschaftshilfe. Gleichzeitig betätigt er sich in der Kommunalpolitik und ist als Laienprediger aktiv. Seine Freizeit gestaltet er vor allem mit freiwilliger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Vereine, seiner Leidenschaft zur Autorentätigkeit, dem Kochen, der Liebe zur Musik und der Kontaktpflege zu seinem Freundeskreis. Riehle war in der Vergangenheit mit seiner Biografie bereits in zahlreichen Medien vertreten und hat sich schon früh dazu entschlossen, mit seiner Geschichte zur Sensibilisierung, Aufklärung und Antistigmatisierung von Menschen mit Handicap beizutragen.
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