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Wahl in Frankreich - der Fehler steckt im System…
  • 08. Mai 2017

Wahl in Frankreich - der Fehler steckt im System…

Von Dennis Riehle | Freier Journalist

Kommentar

Ein „sozial-liberaler“ Kandidat gewinnt die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Und im Kleinen erinnern die Reaktionen an die Wahl von Barack Obama. Ein Heilsbringer für die von Stillstand geplagten Franzosen. Da beeindruckt sein jugendliches Auftreten, nicht nur die jüngeren Frauen erliegen offenbar dem Charme des 39-Jährigen, dem jüngsten Präsidenten, den Frankreich bislang gewählt hat. 65 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von unter 75 Prozent. Überzeugend sind diese Zahlen nicht, weiß man gleichzeitig doch um die wohl beeindruckende Gruppe an Nichtwählern, an denen, die sich enthalten haben oder ihren Stimmzettel ungültig abgaben. Macron kennt diese Situation, denn er selbst wurde mehrheitlich nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst davor gewählt, mit Le Pen wäre alles noch viel schlimmer. Trügerisch daher die Zuneigung zu diesem neuen Präsidenten, von dem man bisher kaum mehr in Erfahrung bringen konnte als seine Vorliebe für blaue Sakkos. Denn wie er Frankreich in den kommenden fünf Jahren tatsächlich neu erschaffen möchte, wie es vollmundig aus seinen Reden ertönt, das wurde auch in den vergangenen Wochen nicht wirklich deutlich. Viel eher konnte sich auch Macron nicht gegen die Bedenken wehren, die immer weiter an seiner Integrität nagten: Ein Regierungsbeamter, der später als Investmentbanker und als Minister arbeitete – wirklich frisch ist der Wind damit nicht, der in den „Elysée-Palast“ einzieht, im Gegenteil. Viele Franzosen nehmen es als anrüchig wahr, dass gerade einer, der im System gearbeitet hat, das zur Wirtschaftskrise führte, nun die Geschicke der „Grande Nation“ führen soll. Beruhigend ist das nicht für jeden. Und doch gab es kaum eine Alternative.  

Schuld ist auch ein Wahlsystem, das den Franzosen seit jeher abverlangt, immer wieder zwischen den Extremen entscheiden zu müssen. Zweifelsohne, in Frankreich wählt man auch gerne etwas radikaler. Vor allem nach links ist dort viel Spielraum, man ist weniger anfällig für Vorurteile gegenüber Sozialisten – leider aber auch gegenüber Rechtspopulismus. Frankreich fehlen wichtige Erfahrungen mit dem Übel politischer Ränder, die häufig dazu besinnen, sich wieder mit Sachthemen auseinanderzusetzen und nicht länger allein den Botschaften zu lauschen, die im Geschrei der Menge ohnehin untergehen. Und in gewisser Weise waren es auch dieses Mal wieder diese lautstarken und oberflächlichen Parolen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, denen Inhalt fehlte und die nur dadurch begeisterten, weil sie einen doch irgendwie bei einem Großteil der Bevölkerung verwurzelten Stolz bedient haben. Bei Le Pen ist es ganz offensichtlich, dass sie vor allem mit Werten jenseits eines gesundes Nationalismus punkten wollte. Doch bei Macron? Viele Franzosen ließen sich offenbar von dem smarten Anzugträger umgarnen, der so verbindlich wirkt in seiner Kommunikation, ruhig und gleichsam freundlich, mit seinen Worten überzeugen kann und durchaus Stimmungen aufzufangen in der Lage ist – auch bei seinem ersten Auftritt nach dem Wahlsieg in seiner Wahlkampfzentrale, als er staatsmännisch zu seinen Landsleuten sprach und wie viele seiner Vorgänger nachdenklich darauf verwies, dass er Präsident aller Franzosen sein möchte.

Auch Macron steht am politischen Rand. In der Eindimensionalität unseres Parteiendenkens findet er keinen Platz. Und doch ist auch er ein Außenseiter, ein Extremer im wirtschaftstheoretischen Denken. Was an ihm „sozial“ sein soll, es bleibt verschlossen. Der gesamte Kontinent ließ sich beeindrucken von der Europafreundlichkeit von Macron, blendete dabei aber aus, was er im eigenen Land verändern möchte. Die 35-Stunden-Woche lockern, Arbeitnehmerrechte beschneiden, Abgaben für die Reichen absenken – was das für Sozialleistungen, Rente oder Gesundheitssystem bedeutet, kann man sich ausdenken, denn mit Fürsorge, Solidarität und sozialer Sicherheit hat solch ein Staat kaum mehr etwas zu tun. Manch ein Beobachter meinte, Macron wolle lediglich die „Soziale Marktwirtschaft“ endlich umsetzen. Doch wenn man auf die wenigen inhaltlichen Aussagen blickt, die der Kandidat im Wahlkampf äußerte, dann übertrifft er im Neoliberalismus unsere deutsche FDP um Längen. Und selbst die europäischen Nachbarn mussten auf den letzten Metern noch erkennen, dass Macron es mit der EU vielleicht zu gut meint. Für die Währungsunion beispielsweise setzt er auf ein einen eigenen Finanzminister, eine Bankenaufsicht und ein Parlament. Der Zentralismus soll wohl zur Entbürokratisierung beitragen und Europa ebenso entlasten wie die Franzosen, bei denen durch Steuererleichterung der Unternehmen und ähnliche Maßnahmen über 30 Milliarden eingespart werden, wenn es nach den Plänen des neuen Präsidenten geht. Ob allen, die ihr Kreuz bei dem Newcomer setzten, bewusst war, was sie da denn so mitwählen?

Er wolle die Schwachen nicht vergessen, wagte sich in die „Banlieues“ und betonte, die Gesellschaft zu einen. Wahrscheinlich liegt das größere Problem gar nicht in der Zusammenführung der politischen, sondern der sozialen Lager. Denn Macron begann schon in seinen Wahlkampfaussagen mit einem klaren Kurs gegen die „Unterschicht“. Immerhin passt es nicht zusammen, Arbeitgeberrechte zu stärken, den Firmen neue Freiheit zu schenken und Beamte zu entlassen, während man gleichzeitig vorgibt, auch die Armen in sein Handeln miteinbeziehen zu wollen. Die Betonung der Integration hat bei Macron allein einen wirtschaftlichen Antrieb, weniger einen sozialen. Denn er blickt auf neue Arbeitskräfte, die da ins Land kommen, „en marche“ lässt keinen Platz dafür, auch die Zurückgelassenen mitzunehmen, die zunächst einmal Schutz suchen, aber auch nicht für jene, die seit langem arbeitslos sind, die ohnehin um ihren Arbeitsplatz fürchten und die um ihre Existenz bangen – nicht im Chefsessel, sondern als Fischer in der Bretagne, als kleiner Hotelier am Mittelmeer oder als Cafébetreiber in der Großstadt. Seine „Revolution“ wird die Franzosen teuer zu stehen kommen, nicht nur finanziell, sondern auch im Kitt der ohnehin angeschlagenen Gesellschaft. Nein, Marine Le Pen wäre keine Alternative gewesen, das Dilemma der Extreme aus weit rechts und brutal marktwirtschaftlich zeigt vielmehr, dass im demokratischen System der „republikanischen Monarchie“ ein Fehler steckt. Diese Erkenntnis ist die einzig wegweisende aus dem Wahlsonntag, der so viele zurückgelassen hat, weil ihnen die Chance auf eine echte Auswahl verwehrt blieb…


Ressort: Politik

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