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Generelle Ablehnung von G8 bröckelt
Infografik JAKO-O Bildungsstudie
  • 23. März 2017

Generelle Ablehnung von G8 bröckelt

Von Volker Clément | MasterMedia GmbH

JAKO-O Bildungsstudie regional Nordrhein-Westfalen ermittelt Elternmeinungen

Acht oder neun Jahre bis zum Abitur: Wenn es nach den Eltern geht, ist die bedingungslose Beibehaltung von G8 an allen Gymnasien in Nordrhein-Westfalen keine Option. Nur 8 % wollen das. Für die vollständige Rückkehr zu G9 sprechen sich 40 % aus. 39 % wünschen sich, dass Gymnasien ihre Oberstufe so organisieren, dass die Schülerinnen und Schüler sie in zwei oder drei Jahren durchlaufen können. Dass jedes Gymnasium selbst entscheidet, ob es einen G8- oder G9-Bildungsgang anbietet, können sich lediglich 9 % vorstellen. Dies zeigt die JAKO-O Bildungsstudie regional Nordrhein-Westfalen, die heute in Düsseldorf veröffentlicht wurde. Für die repräsentative Untersuchung befragte das Meinungsforschungsinstitut Mentefactum in Zusammenarbeit mit Kantar Emnid in Nordrhein-Westfalen 500 Eltern schulpflichtiger Kinder.

Viel wurde in den letzten Jahren über die Zukunft des umstrittenen Turbo-Abiturs diskutiert. Zumindest die Meinung der Eltern war eindeutig: Bundesweit sprachen sich 2014 noch 79 % der Eltern für die vollständige Rückkehr zu G9 an allen Gymnasien aus.* "Wenn Wahlmodelle zur Flexibilisierung des Abiturs angeboten werden, scheint diese Position bei Eltern nicht mehr mehrheitsfähig zu sein", sagte die Schulforscherin Prof. Dr. Dagmar Killus von der Universität Hamburg bei der Präsentation der Studienergebnisse in Düsseldorf. Das sogenannte "Abitur im eigenen Takt" erhält -zumindest in Nordrhein-Westfalen - eine ebenso hohe Zustimmung bei den Eltern wie die Rückkehr zu G9. Killus formuliert es so: "Viele Eltern in Nordrhein-Westfalen akzeptieren G8 am Gymnasien, wenn die Familien selbst entscheiden dürfen, ob ihr Kind darin einbezogen wird." Hingegen sind nur sehr wenige Eltern von der Idee überzeugt, dass jedes Gymnasium selbst entscheiden soll, ob G8 oder G9 angeboten wird. Dies läge möglicherweise daran, dass Eltern eine unheilvolle Konkurrenz zwischen G8- und G9-Gymnasien sowie Schwierigkeiten bei einem Schulwechsel ihres Kindes befürchteten, so Killus.

Inklusion und Integration von Flüchtlingskindern: größere Anstrengungen gefordert

Den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen befürworten die Eltern in Nordrhein-Westfalen - wie auch bundesweit - nicht vorbehaltlos. Wenn es um körperlich beeinträchtigte Kinder und um Kinder mit Lernschwierigkeiten geht, findet der gemeinsame Unterricht große Unterstützung: 89 % (bundesweit: 91 %*) bzw. 65 % (bundesweit: 71 %*) finden das richtig. Deutlich weniger Zustimmung erhält die Inklusion verhaltensauffälliger (40 %; bundesweit: 45 %*) und geistig beeinträchtigter Kinder (35 %; bundesweit: 43 %*). Die Zurückhaltung der Eltern könnte daran liegen, dass aus ihrer Sicht die Voraussetzungen für gelingende Inklusion an den Schulen noch nicht gegeben sind. Zumindest fordern zwei Drittel der Eltern (66 %) mehr Engagement seitens der Politik: Die Landesregierung solle deutlich mehr Mittel zur Verfügung und die schulische Inklusion entschiedener vorantreiben.

Dies gilt auch für die Integration von Flüchtlingskindern: Eine breite Mehrheit (78 %) begrüßt die Einstellung zusätzlicher Lehrerinnen und Lehrer. Das genügt in den Augen vieler Eltern jedoch nicht. Fast die Hälfte (46 %) kritisiert, die Landesregierung unternehme insgesamt zu wenig, um Flüchtlingskinder mit guter Schulbildung zu versorgen. Drei Viertel (76 %) der Befragten geben an, dass die Schule ihres Kindes von Flüchtlingskindern besucht wird. Jeder Zweite (48 %) von ihnen sagt, an der Schule des eigenen Kindes habe es besondere Unterstützungsmaßnahmen für die neuen Schülerinnen und Schüler gegeben. Zu Einschränkungen des Schulbetriebs hat die veränderte Situation kaum geführt: 81 % der Eltern sagen, alles läuft wie immer.

"Die Studienergebnisse zur Inklusion und Integration der Flüchtlingskinder belegen die große Solidarität der Elternschaft in Nordrhein-Westfalen mit allen schwächeren und benachteiligten Schülerinnen und Schülern", sagte Petra Windeck vom Deutschen Familienverband NRW bei der Studienveröffentlichung.

Ganztagsschulen: Bedarf größer als Angebot

72 % der Eltern in Nordrhein-Westfalen wünschen sich eine Ganztagsschule für ihr Kind. Das offene Konzept mit freiwilligem Nachmittagsprogramm findet mit 42 % mehr Zustimmung als die gebundene Ganztagsschule (30 %). Tatsächlich geben aber nur 49 % der Eltern an, dass ihr Kind eine Ganztagsschule besucht - 30 % die gebundene, 19 % die freiwillige Form. "Die Ganztagsschule stößt bei Eltern seit Jahren auf eine konstant hohe Zustimmung", sagt Killus. "Allerdings kann der Bedarf bisher in keinem Bundesland annähernd gedeckt werden. Um die Versorgungslücke zu schließen, muss das Angebot daher dringend kräftig ausgebaut werden."

Massiver Unterrichtsausfall nur an Gymnasien und Realschulen

Dass ihr Kind selten oder so gut wie gar nicht von Unterrichtsausfall betroffen ist, sagen 55 % der Eltern. 44 % geben an, dass der Unterricht wöchentlich oder zumindest ein- bis zweimal im Monat ausfällt. Dabei zeigen sich immense schulformspezifische Unterschiede: Während nur 3 % der Grundschuleltern und 8 % der Gesamtschuleltern einen massiven Unterrichtsausfall ("fast wöchentlich") beklagen, tun dies 27 % der Gymnasialeltern und sogar 43 % der Realschuleltern. "Diese deutlichen Schulformunterschiede lassen sich nur zum Teil erklären", so Killus. "Es könnte eine Rolle spielen, dass es in der Grundschule wahrscheinlich einfacher ist, Vertretungen zu organisieren als im fachgebundenen Unterricht der Sekundarstufe."

Gute "Noten" für Lehrer und Schulen

Durchweg positiv ist die Sicht der Eltern auf die Lehrerinnen und Lehrer ihrer Kinder. Sie halten sie für fachlich kompetent (87 %) und engagiert (80 %). Außerdem setzen sie sich für gute Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern ein (82 %) und können deren Interesse wecken (74 %). Demgegenüber schneiden die Kompetenzen der Lehrer, die sich auf den Umgang mit Heterogenität beziehen, im Vergleich weniger gut ab: Einen guten Umgang mit unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen erkennen 60 % der Eltern, 65 % glauben, dass die Lehrerinnen und Lehrer alles tun, damit auch die Schwächeren mitkommen. Und auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer neue Unterrichtsmethoden einsetzen, meinen nur 60 % der Eltern.

Auch die Bedingungen an den Schulen bewerten die Eltern recht gut. Dies sind vor allem gute soziale Beziehungen in den Klassen (83 %) oder die Ausrichtung der Schule an einem eigenen Profil (70 %). Die Klassengröße und die technische Ausstattung beurteilen die Eltern in Nordrhein-Westfalen allerdings etwas kritischer als bundesweit (69 % zu 76 %* bzw. 67 % zu 77 %*). Die niedrigsten Prozentwerte entfallen auf das Angebot von Aktivitäten, die über den Unterricht hinausgehen (58 %) und auf die Antwortvorgabe "kaum Unterrichtsausfall" (59 %).

Weniger "Hausaufgaben" für Eltern in NRW

Die Ergebnisse der vorangegangenen JAKO-O Bildungsstudien zeigen, dass Eltern in der eigenen Wahrnehmung vieles von dem leisten müssen, was eigentlich Aufgabe der Schule ist. 2010** stimmten bundesweit 67 % der Eltern dieser Aussage zu, 2014* immerhin noch 62 %. In Nordrhein-Westfalen sind es mit 43 % deutlich weniger. Killus: "Möglicherweise hat die Ganztagsschulentwicklung den Grundstein für umfassende Veränderungsprozesse gelegt, die auch dazu führen, dass Hausaufgaben zunehmend durch Übungs- und Lernzeiten in den Schulen ersetzt werden. Das positive Ergebnis in Nordrhein-Westfalen könnte damit zusammenhängen, dass die Ganztagschulentwicklung hier weiter fortgeschritten ist, als in manchen anderen Bundesländern." Diese Annahme wird durch die unterschiedliche Einschätzung der Eltern an den verschiedenen Schulformen gestützt: Dass sie vieles von dem leisten müssen, was Aufgabe der Schule ist, sagen 46 % der Eltern, deren Kind eine Halbtagschule besucht, 40 % der Eltern mit einem Kind auf einer Ganztagsschule mit freiwilligem Nachmittagsprogramm und nur 35 % der Ganztagsschuleltern mit verbindlichem Nachmittagsprogramm.

Aktuelle Bildungspolitik in NRW: fast die Hälfte ist unzufrieden

Das Gesamturteil der Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen fällt unterschiedlich aus: 48 % der Eltern halten sie für schlechter als in anderen Bundesländern, 30 % für besser. 23 % trauen sich kein Urteil zu. Im Vergleich zur schwarz-gelben Vorgängerregierung hat sich unter Rot-Grün der Einschätzung der Eltern nach allerdings nicht viel verändert, weder zum Positiven noch zum Negativen: 30 % halten die Bildungspolitik unter Ministerpräsidentin Kraft für besser, 28 % für schlechter als unter Ex-Ministerpräsident Rüttgers. 4 von 10 Eltern (41 %) haben hierzu keine Meinung. Und dies, obwohl die Bildungspolitik noch vor der Familienpolitik (72 % bzw. 65 % "sehr wichtig") das wichtigste Politikfeld für die eigene Wahlentscheidung der Eltern bei der Landtagswahl am 14. Mai ist.


Ressort: Bildung und Kultur

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