- 27. Juli 2017
Ein wärmeliebender Falter erobert die Nordsee
– historisch einzigartige Verbreitung «dank» Klimawandel
Klimawandel live: Als der Karstweissling vor zehn Jahren nördlich der Alpen gefunden wurde, galt dies bereits als kleine Sensation. In nur einem Jahrzehnt hat sich der wärmeliebende Tagfalter bis zur Nordsee verbreitet. Ein spektakuläres Beispiel eines bekannten Phänomens: Der Klimawandel verändert unsere Fauna und Flora. Dass die Schmetterlinge ihr Territorium aber derart explosionsartig erweitert haben, sei einzigartig, sagt der Schmetterlingskenner Hans-Peter Wymann.
Schweizweit zählt man etwa 3'700 Schmetterlingsarten, davon gehören 200 den Tagfaltern an. Obwohl diese nur einen kleinen Teil der Schmetterlingsfamilie ausmachen, verfügt die Wissenschaft über fundierteres Wissen als über die Nachtfalter. Der Grund ist ein praktischer: Tagfalter sind einfacher zu erforschen. Daher haben die Forscher gute Kenntnisse über Verbreitungsgebiete, ökologische Ansprüche, botanische Voraussetzungen oder wie Geländestrukturen aussehen müssen, damit eine Art überlebensfähig ist.
Es erstaunt daher nicht, dass Veränderungen in der Verbreitung vor allem bei Tagfaltern auffallen. Und hier hat im letzten Jahrzehnt hierzulande ein massiver Wandel eingesetzt. Die Schweiz beherbergt zurzeit etwa 10 wärmeliebende Tagfalterarten, die ihr Verbreitungsareal in den letzten Jahren teilweise markant nach Norden erweitert haben. Der spektakulärste Fall unter ihnen ist der Karstweissling Pieris mannii. Der ursprünglich in Südeuropa heimische Tagfalter war in der Schweiz nur aus dem Wallis und dem südlichen Tessin bekannt. Zudem lagen über hundert Jahre alte Funde aus der Region Genf vor. Nie aber wurde dieser Weissling weiter nördlich gesichtet – bis 2008.
Im Juli 2008 fanden Hans-Peter Wymann vom Naturhistorischen Museum und die beiden Schmetterlingsspezialisten Heiner Ziegler und Bernhard Jost in Wimmis (Berner Oberland) erste Exemplare des eher unscheinbaren Falters. Dieser Fund stellte die Experten vor ein Rätsel, sie gingen von einer isolierten Population aus. Doch das Trio fand die Art, die auf der Roten Liste als «potenziell gefährdet» aufgeführt wird, an weiteren Stellen im Mittelland – bis in die Region von Olten(SO). In Dörfern, Einfamilienhaus-Quartieren und Vorstädten. Inzwischen hat Pieris mannii fast ganz Mitteleuropa «erobert» und ist bis zur Nordsee vorgedrungen – das zeigen Funde aus den Niederlanden.
«Historisch einmalig»
Hans-Peter Wymann und die Schmetterlings-Community stellen seit Jahren fest, wie sich die Verbreitungsgebiete verschieben. Wärmeliebende Arten breiten sich gegen Norden und in die Alpen aus, gleichzeitig wandert die Untergrenze alpiner Arten gegen oben. Dass eine Schmetterlingsart ihre Verbreitung in weniger als 10 Jahren mehr als 700 km nordwärts verschiebt, konnte in diesem Ausmass noch nie beobachtet werden, sagt Wymann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Entomologie: «Das ist historisch einzigartig». Zu beachten sei dabei auch, dass es sich bei Pieris mannii nicht um eine Wanderart handle.
Wymann ist überzeugt, dass der Klimawandel Grund der Arealerweiterung ist. Dass sich die Verbreitungsgebiete von Tieren und Pflanzen verändern, ist ein schon lange bekanntes Phämomen. Nur ist es etwa bei Silberreihern oder Mittelmeermöwen sichtbarer. Auch bei Pieris mannii scheint die Erderwärmung als «Trigger» der Norderweiterung des Areals zu fungieren. Die Art profitiert zudem davon, dass er für die Eiablage und Raupen-Nahrungsquelle eine «Ersatzpflanze» gefunden hat: das Schleifenkraut (Iberis semprivires), eine in Quartieren und Dörfern weiss blühende Modepflanze. Die Steinmauern und Häuserwände ersetzen die Felsen der ursprünglichen Lebensräume.
Die Naturhistorischen Museen spielen in dieser rasanten Veränderung der Natur, die sich derzeit abspielt, eine wichtige Rolle: Die Sammlungen dokumentieren die Veränderungen und lassen diese auch für kommende Generationen nachvollziehbar machen. Nur dank dieser Archive des Lebens wissen wir heute, dass eine Art wie der Karstweissling in hiesigen Breitengraden noch nicht heimisch war. Am 2. und 3. August wird Hans-Peter Wymann in die Untergeschosse des Naturhistorischen Museums Bern führen und Einblicke in die Schmetterlings-Sammlung geben – die nicht nur eine hohe wissenschaftliche Bedeutung hat, sondern auch ein Genuss fürs Auge ist.
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