- 06. März 2018
Neue Arten & FSME-Hot-Spots könnten Krankheits-Risiko erhöhen
Pressekonferenz an Uni Hohenheim: Neue Zecken-Arten, Verschiebung von Risiko-Gebieten und ungewöhnlich viele Erkrankungen im Jahr 2017 stellen Forschung vor Rätsel
Bei 499 Menschen wurde im vergangenen Jahr eine FSME-Erkrankung diagnostiziert – so viele, wie seit über 10 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig wandern neue Zecken ein, verschieben sich die Hot-Spots und die Krankheit breitet sich nach Norden aus. Mehrere Forschungsprojekte sollen helfen, die Zecken als Krankheitsüberträger besser zu verstehen und wenn möglich zu bekämpfen. Dennoch bleibe eine FSME-Impfung die beste Strategie gegen die Erkrankung. Zu diesem Ergebnis kam die heutige Pressekonferenz an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Vorfeld des 4. Süddeutschen Zeckenkongress. Der Kongress samt Ärztefortbildung findet von 12. bis 14. März statt. Infos zum Kongress: Zeckenkongress
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist die wichtigste durch Zecken übertragene Virusinfektion. In Eurasien treten schätzungsweise mehr als 10.000 Erkrankungsfälle jährlich auf.
Im vergangenen Jahr seien allein in der Bundesrepublik bislang 497 Erkrankungen gemeldet wurden. Dabei handelt es sich um die zweithöchste je registrierte Zahl von Erkrankungsfällen, erklärte PD. Dr. Gerhard Dobler auf der heutigen Pressekonferenz der Universität Hohenheim. Der Mediziner ist Leiter der Abt. für Virologie und Rickettsiologie am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München und des Nationalen Konsiliarlabors für FSME und auch Dozent an der Uni Hohenheim .
Trauriger Krankheits-Rekord in Bayern, Baden-Württemberg an zweiter Stelle
85 Prozent der Erkrankungsfällen traten in Bayern und Baden-Württemberg auf. Bayern meldete mit 239 Erkrankungsfällen die höchste Zahl seit Einführung der Meldepflicht durch das Infektionsschutzgesetz IfSG im Jahr 2001. Den deutlichsten Anstieg der Erkrankungsfälle habe es entlang des Alpenkamms gegeben. Dagegen sei die Zahl der Erkrankungsfälle z.B. in Unterfranken 2017 deutlich zurückgegangen.
Auch in Baden-Württemberg sei die Zahl der Erkrankungen im Jahr 2017 ungewöhnlich hoch gewesen, bestätigt Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Stuttgart. Mit 186 Fällen liege sie allerdings noch unter den Rekordjahren von 2011 und 2006 mit über 210 bzw. 288 Fällen.
Neue Hot-Spots auch in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
Gleichzeitig verschöben sich die Hot-Spots, d.h. die Regionen, in denen FSME-Erkrankungen gehäuft auftreten. „Einige Landkreise, die über Jahre hinweg Erkrankungen meldeten, blieben im vergangenen Jahr völlig unauffällig. In anderen trat die Krankheit erstmals und gleich auch besonders gehäuft auf“, berichtet Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Parasitologin der Universität Hohenheim und Initiatorin des Süddeutschen Zeckenkongresses.
Zudem breite sich die Krankheit nach Norden aus. „Die Statistik zeigt uns ganz neue Hot-Spots in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Zum allerersten Mal erhalten wir sogar Erkrankungsberichte aus den Niederlanden“, so die Zeckenexpertin Prof. Dr. Mackenstedt.
Gefahr durch neu eingewanderte Zecken-Arten lässt sich noch nicht einschätzen
Bisher schwer einzuschätzen sei dagegen die Gefahr, die von neuen Zeckenarten in Deutschland ausgehe. So stießen die Parasitologen der Universität Hohenheim und Virologen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr und der Uni Leipzig 2016 erstmals auf das FSME-Virus in der in Deutschland zunehmend einwandernden Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus).
Auch stieß 2016 die Zeckenforscherin Dr. Chitimia-Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München, dem Kooperationspartner der Uni Hohenheim auf eine in Deutschland neue Art – Ixodes inopinatus - die wohl aus dem Mittelmeerraum eingewandert ist. „Noch ist nicht klar, wie lange diese Art schon in Deutschland heimisch ist und ob sie als FSME-Überträgerin in Frage kommt. Wichtig wäre auch abzuklären, ob mit ihr nicht neue Krankheiten nach Deutschland gelangten, wie etwa das Mittelmeerfieber“, so Prof. Dr. Mackenstedt.
Neue Phänomene erfordern intensivere Forschung
Ein Grund für die hohe Erkrankungszahl 2017 könnte das Wetter gewesen sein, mutmaßt Prof. Dr. Mackenstedt. „Im Sommer 2017 gab es eine große Kältewelle. Zwei Wochen später wurde es sehr warm und wieder zwei Wochen später gab es einen großen Krankheitsausbruch. Vermutlich lag das daran, dass es nach den kalten Tagen Menschen gerade zu dem Zeitpunkt massiv ins Freie trieb, als die jahreszeitlich höchste Aktivität von Ixodes ricinus als der am weitesten verbreiteten Zeckenart stattfand.“
Insgesamt stelle die Fülle der Phänomene - neue Arten, wechselnde Hot-Spots und jährlich stark schwankenden Erkrankungszahlen – die Forschung zunehmend vor Rätsel. Antworten sollen unter anderem zwei Forschungsprojekte bringen.
Künftige Computermodelle sollen Risiko-Abschätzung erlauben
Anstatt nachträglich Statistiken auszuwerten, soll ein Computermodell erlauben, künftig Prognosen zum Zecken-Risiko an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten abzugeben. Grundlage sind Beobachtungsdaten, die erstmals bundesweit erhoben werden.
„Insgesamt haben wir fast 100 Standorte ausgesucht, in denen künftig dreimal im Monat Zecken gesammelt und untersucht werden. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Landklassen wie Mischwälder, Laub- und Nadelwälder, Agrarflächen oder Siedlungsräume“, berichtet Prof. Dr. Mackenstedt.
An der Veterinärmedizinischen Universität in Wien werden diese Daten zusammengeführt und ergänzt – z.B. mit Klimadaten und anderen Phänomenen wie etwa, ob es ein Jahr mit Buchenmast war, in dem ein großes Nahrungsangebot auch den Wildtierbestand ansteigen lässt.
„Die Auswertung soll uns Aufschluss geben, wie sich die Situation in Deutschland ändert, ob wir aus der Zeckendichte auch ein Krankheitsrisiko ableiten können oder wann und wo die FSME-Gefahr im kommenden Jahr besonders hoch sein könnte“, erklärt die Parasitologin.
Neben der Universität Hohenheim und der Veterinärmedizinischen Universität Wien bringen sich auch die TU Hannover, die Universität Leipzig, das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und die Firma Tick-radar in die Feldstudie zur Bestimmung und Modellierung der Zeckendichte in Deutschland ein.
Großprojekt zu Zecken-Lebensraum und -Verhalten ermöglichen
Daneben engagieren sich Prof. Dr. Mackenstedt und PD Dr. Dobler in einem zweiten Projekt, das Lebensräume und Verhaltensweisen der Zecken erforschen soll. Unter anderem soll das Projekt auch die Grundlage legen, um wirkungsvolle Bekämpfungsstrategien zu entwickeln.
„Das erstaunliche ist, dass Zecken-Hot-Spots oft nicht größer als ein Fußballfeld oder nur halb so groß sind und über Jahre stabil bleiben“, erklärt PD Dr. Dobler. Zusammen mit Landschaftsökologen wollen die Zecken-Fachleute herausfinden, ob die Hot-Spots typische Gemeinsamkeiten haben – etwa im Pflanzenbestand oder in den Tiergesellschaften.
„Eine Theorie ist, dass Nagetiere bei den Hot-Spots eine wichtige Rolle spielen. Nager sind ortstreu, was erklären würde, warum die Hot-Spots wenig wandern. Gleichzeitig befallen Zecken im Larvenstadium bevorzugt Nager und nicht Rot- oder Schwarzwild. Die Nager sind auch die Quelle, an der sich die Zecken die FSME-Erreger holen.“
Ein weiteres Untersuchungsziel ist, wie FSME das Verhalten von Zecken ändert: „Wenn Zecken einen Wirt suchen, wandern sie an Grashalmen nach oben und warten dort auf Warmblütler. Eine neue Studie aus Osteuropa deutet an, dass FSME-Viren dieses Suchverhalten von Zecken verlängern könnten“, berichtet Prof. Dr. Mackenstedt.
Mit Hilfe von Kameras soll auch diese Theorie überprüft werden. Dazu legen die Forscherinnen und Forscher Karrees mit Laubfüllung und senkrechten Stäben an. Die Videoüberwachung hält fest, wie lange und oft die Zecken im Laub nach oben oder unten krabbeln.
Das Projekt ist Teil des Forschungskonsortiums „Tick-borne encephalitis in Germany“ (TBENAGER) , das unter der gesamtwissenschaftlichen Leitung von PD Dr. Dobler steht. Zu den Mitgliedern gehören neben dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und der Universität Hohenheim u.a. auch das Robert-Koch-Institut, das Friedrich-Löffler-Institut und die Landesgesundheitsämter Bayern und Stuttgart. Das Bundesforschungsministerium fördert das Projekt 5 Jahre lang mit insgesamt mehr als 4 Mio. Euro.
Zuverlässiger FSME-Schutz nur durch Impfung
Den zuverlässigsten Schutz bietet jedoch nach wie vor nur eine FSME-Impfung, so das einhellige Urteil der Rednerinnen und Redner auf der Pressekonferenz.
Als Mediziner warnte PD Dr. Dobler davor, die Krankheit zu unterschätzen: „Zu den schweren Krankheitsverläufen gehören Lähmungen, Koma, Krampfanfälle, Defektheilungen und vereinzelt auch Todesfälle.“ Davon seien Erwachsene und Kinder gleichermaßen betroffen.
Dagegen hätten die Impfstoffe fast 100 Prozent Wirkung, Komplikationen seien mit 1,5 Fälle bei einer Million Impfungen extrem selten. Trotzdem seien in Deutschland nur etwa 20 % der Bevölkerung geimpft. In Österreich sind es mehr als 80 %.
Infizierte Rohmilch birgt besonders hohes Erkrankungsrisiko
Gleichzeitig schütze die Impfung auch vor einer besonderen Art der FSME-Ansteckung: Die durch Rohmilch vor allem von Weidetieren.
„Im Jahr 2016 machte ein Fall Schlagzeilen, bei dem zwei Menschen nach dem Genuss von Rohmilch-Käse aus Ziegenmilch erkrankten“, berichtet Prof. Dr. Mackenstedt. „Im vergangenen Jahr erkrankten 8 Personen nach dem Genuss von Ziegen-Rohmilch.“
Tatsächlich sei das Krankheits-Risiko nach dem Genuss von FSME-infizierter Rohmilch um das Dreifache höher, als nach dem Biss von infizierten Zecken: „Von 100 Personen, die von infizierten Zecken gebissen werden, bricht die Krankheit bei 30 Personen aus. Bei infizierter Rohmilch beobachten wir den Krankheitsausbruch bei 100 von 100 Personen.“
In den 1950er Jahren seien FSME-Erkrankungen durch infizierte Rohmilch deshalb vergleichsweise häufig gewesen. Durch die Pasteurisierung von Milch sei die sogenannte „alimentäre FSME“ heute jedoch eher eine Randerscheinung.
Angesichts der zunehmenden Beliebtheit von Rohmilch betonte die Runde: „Wer Rohmilch-Produkte in einem Risikogebiet für FSME zu sich nimmt, muss FSME-geimpft sein!“ Dies schütze allerdings nicht vor anderen durch Rohmilch übertragene Krankheiten, weshalb pasteurisierte Milch aus Gründen der Lebensmittelsicherheit generell vorzuziehen sei.
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